Ingolf Römer, Projektleiter des Experimentierfelds EXPRESS

Interview mit Ingolf Römer, Projektleiter des Experimentierfelds EXPRESS

Science Talk | Leipzig /

Ingolf Römer bringt umfangreiches Know-how über Geschäftsprozesse, Cloud Computing und Datensicherheit mit ins Team. Für das Projekt entwickelt der Wirtschaftsinformatiker unter anderem Lösungen in den Bereichen Vernetzung und Datenintegration – und ist als offizieller EXPRESS-Pilot zudem für das Drohnenfliegen verantwortlich.

»Wir haben im Jahr 2019 begonnen, drei ausgewählte Experimentierflächen – die Global Change Experimental Facility (GCEF) in Bad Lauchstädt, das Weingut Schloss Proschwitz in Meißen sowie die Obstland Dürrweitzschen AG in Leisnig – zu erschließen und uns ein Bild davon zu machen, wie der tatsächliche Stand der Digitalisierung in den einzelnen Betrieben aussieht. Ganz nah an der Praxis haben wir mit unseren Partner*innen vor Ort zentrale Themen festgehalten: regionale Wetterphänomene, Klimawandel, Pflanzenmonitoring, die Problematik Hitze, Wasserstress sowie Trockenstress in den Anlagen.«

 

Ingolf Römer
Projektleiter Eperimentierfeld EXPRESS

Interview

Das Gespräch mit Ingolf Römer führte Jördis Arnecke, Wissenschaftliche Mitarbeitende der Forschungsgruppe Professionalisierung von Wissenstransferprozessen und Teil des Forschungsteams Experimentierfeld EXPRESS.

Lieber Ingolf Römer, nach drei Jahren Laufzeit beginnt für das Experimentierfeld EXPRESS nun die zweijährige Verlängerung. Wenn Sie rückblickend auf die letzten drei Jahren schauen, können Sie bereits jetzt ein zentrales Ergebnis hervorheben?

Wir haben im Jahr 2019 begonnen, drei ausgewählte Experimentierflächen – die Global Change Experimental Facility (GCEF) in Bad Lauchstädt, das Weingut Schloss Proschwitz in Meißen sowie die Obstland Dürrweitzschen AG in Leisnig – zu erschließen und uns ein Bild davon zu machen, wie der tatsächliche Stand der Digitalisierung in den einzelnen Betrieben aussieht. Ganz nah an der Praxis haben wir mit unseren Partner*innen vor Ort zentrale Themen festgehalten: regionale Wetterphänomene, Klimawandel, Pflanzenmonitoring, die Problematik Hitze, Wasserstress sowie Trockenstress in den Anlagen.

Hier können wir schon die ersten Ergebnisse unserer Arbeit sehen: Während noch zu Beginn des Forschungsprojekts EXPRESS die von uns befragten Winzer*innen nur sehr abstrakt ihre Wünsche äußern konnten (Wie viel Wasser ist denn jetzt im Boden?), werden die Anforderungen an uns nun konkreter (Welche Wassermengen stehen den Reben zur Verfügung? Wann treten welche Änderungen auf? Welche Aussagen können über das Monitoring der Oberfläche der Pflanzen gewonnen werden?). Das ist mittlerweile schon viel besser geworden.

Was genau bedeutet in diesem Zusammenhang „viel besser“?

Wir sehen, dass die Akzeptanz der Winzer*innen gestiegen ist, in einzelne Themenbereiche der Digitalisierung mehr reinzuschauen und die Ergebnisse ein Stück weit in den Betriebsablauf mit aufzunehmen. Das stellt jedoch gleichzeitig eine der größten von uns beobachteten Hürden im Bereich der Digitalisierung im Weinbau dar, diese Informationen in den Betriebsablauf zu integrieren.

Euer Schwerpunkt liegt auf dem Obst- und Weinbau. Lassen sich aus euren Versuchen auf den Experimentierflächen bereits erste Ergebnisse ableiten?

Wir haben im Weinbau mit der Automatisierung der Arbeitsprozesse begonnen. Begleitend zu noch anderen Versuchen, haben wir Traktoren mit GPS und teilweise selbstfahrenden Systemen ausgestattet und deren Einsatz im Versuchsfeld getestet. In Zusammenarbeit mit den Winzer*innen haben wir spezielle Obstbauspritzen im Weinbau angewandt, um Spritzmittel einzusparen. Die Digitalisierung kann hier helfen, die regulatorischen Vorgaben auch in Zukunft umzusetzen.

Im Bereich Obstbau denke ich gerne an unseren selbst gekelterten Apfelsaft. Mithilfe einer von uns entwickelten Blockchain-Lösung können wir die Reise eines Apfels von der Blüte des Apfelbaumes bis in den Einkaufskorb – sprich den gesamten Lebenszyklus eines Apfels – nachvollziehen. Das ist immer wieder ein viel diskutiertes Demonstrationsobjekt rund um die Transparenz von regionalen Lieferketten und Lebensmitteln in der Zukunft. Die regionale Entwicklung dieser Thematik wollen wir auch in Zukunft weiter vorantreiben, wobei wir die Einbindung von vor- und nachgelagerten Bereichen der Landwirtschaft stärker in den Fokus nehmen werden.

Welche zentralen Techniken erprobt ihr darüber hinaus im Experimentierfeld EXPRESS?

Wir erproben auf unseren Versuchsflächen unterschiedliche Drohnen mit dem Ziel, zusätzlich zu den am Boden verbauten Sensorstationen Daten aus der Luft zu generieren. Hier setzen wir je nach Bedarf Drohnen mit Thermalkameras oder Infrarotsensoren ein. Dabei spielt vor allem die Sensorik, die wir nicht nur im Weinbau, sondern auch auf verschiedenen Flächen im Obstbau verbaut haben, eine große Rolle. Und das ist im Rückblick auf die Corona-Pandemie einer der größten Erfolge: Trotz gebrochener Lieferketten haben wir es geschafft, unterschiedliche Sensornetze auf unseren Versuchsflächen aufzubauen und entsprechende Demonstrationen ins Feld zu stellen. Nun haben wir endlich die Möglichkeit, auf die gewonnenen Daten zugreifen zu können.

Du hast gerade die Corona-Pandemie angesprochen. Diese Krise hatte auch auf die wissenschaftliche Arbeit große Auswirkungen. Welche Herausforderungen kamen da auf euch zu? Mit welchen Herausforderungen hatten ihr hier zu kämpfen?

Eine der großen Fragen, die uns umgetrieben hat, war: Wie erreichen wir die Obstbauern und WinzerInnen in Zeiten von Corona? Wir haben nach einer Möglichkeit gesucht,
mit unserer Laborumgebung draußen an der frischen Luft gemeinsam mit den Landwirt*innen arbeiten zu können. Mit unserer Mobilen Scheune haben wir ein Instrument gewonnen, um direkt zu den Landwirt*innen auf die Höfe zu fahren. Und aus dieser halben Stunde zwischendurch, die sich die Obstbäuer*innen und Winzer*innen neben ihrer alltäglichen Arbeit für uns Zeit nehmen konnten, haben wir wertvolle Einblicke und Informationen gewinnen können.

Natürlich sind noch andere Online-Formate entstanden. So haben wir uns mit drei weiteren Experimentierfeldern, die im Bereich des Weinbaus forschen, vernetzt und den SCHLAGABTAUSCH ins Leben gerufen. Das interaktive Format bietet kurzweilige Informationen zu digitalen Themen im Weinbau, wir präsentieren neueste Ergebnisse und diskutieren diese mit Winzer*innen. Das ist für die Region ein großer Zugewinn und wird sehr gerne angenommen.

Das Portfolie von EXPRESS umfasst sehr viele Bereiche. Welche Akteure und Altersgruppen sprecht ihr damit an?

Unser großes Highlight dieses Jahr war die Teilnahme an der agra – die Landwirtschaftsausstellung in Mitteldeutschland 2022 auf der Leipziger Messe. Hier konnten wir mithilfe unserer Mobilen Scheune unser gesamtes Portfolie des Experimentierfeldes zeigen und mit den BesucherInnen diskutieren. Dabei haben wir sehen können,
welche unterschiedlichen Altersgruppen von der Digitalisierung in der Landwirtschaft angesprochen werden, von Schülern über Auszubildende, über angehende Postdoktorand*innen und gestandene Landwirt*innen …  Die Einstellungen zu digitalen Lösungen im Obst- und Weinbau bzw. die Techniken, die man für die Zukunft braucht,
waren dabei sehr unterschiedlich. Dieser Input von außen, das waren sehr wichtige Erkenntnisse für uns. Dabei ist der Ausdruck „von außen“ gar nicht richtig, denn die Landwirt*innen gehören ja als Akteure zu uns. Wir forschen und experimentieren zusammen, und das ist genau das, was wir in der Zukunft noch viel stärker angehen wollen.

Schauen wir für einen Augenblick in die Gegenwart. Welche zentralen Themen bewegen gerade die Obstbäuer*innen und Winzer*innen?

Ein ganz wesentliches Thema, welches uns von den Obstbauern widergespiegelt wird, ist das Thema Hitze. Die damit zusammenhängenden Folgen können die Existenz der Höfe gefährden. Die entsprechenden Wassermengen, die in Zukunft zur Verfügung stehen, gezielt einzusetzen. Das ist ein Thema, das uns im Experimentierfeld EXPRESS wirklich unter den Nägeln brennt. Erste Ergebnisse zum Wasserhaushaltsmonitoring haben wir bereits auf unserer Projekt Webseite veröffentlicht, und entsprechende Fragestellungen werden wir weiterhin bearbeiten.

Mit Blick auf den Winter zeigt sich das nächste hochgradig interessante Thema - die Frostwarnung. Was kann hier Sensorik leisten, was können Drohnenbilder leisten?
Erste Fragestellungen wollen wir noch bearbeiten, bevor der Frost kommt. Denn das sind Erkenntnisse, wo die Landwirt*innen einen wirklichen betriebswirtschaftlichen Gewinn sehen, wo die Möglichkeiten der Digitalisierung sichtbar werden.

Ihr wollt mir euren Erkenntnissen aus dem EXPRESS Projekt einen direkten Mehrwert für die Obstbäuer*innen und Winzer*innen bilden. Wie gelingt es euch, eure Fragestellungen an den Bedarfen der Landwirt*innen auszurichten?

In bestimmten Bereichen sind wir schon wertvoller Ansprechpartner im Netzwerk geworden. Der Einsatz von Sensorik und Drohnen, die Analyse von Sensordaten, die Entwicklung von KI im Bereich Landwirtschaft, die Analyse von Drohnenbildern - das sind unsere technologischen Schwerpunkte, zu denen vor allem in Sachsen immer wieder Fachkenntnisse gefragt sind und dringend benötigt werden.

Konkret ziehen wir unsere Fragestellungen aus dem direkten Kontakt zu den Obstbäuer*innen und Winzer*innen. Um ein Beispiel zu nennen: Mitte dieses Jahres waren wir über einen Monat mit unserer Mobilen Scheune bei Senst Biofrucht, einem unserer Projektpartner, vor Ort. Wir haben als Forschende zugeschaut und gelernt, wir haben projektinterne und öffentliche Veranstaltungen durchgeführt – und viel mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Senst Biofrucht diskutiert. Wir haben uns intensiv auf die Themen der Obstbauern eingelassen: Was sind die konkreten Probleme der Obstbauern in der Zukunft?

In einem nächsten Schritt haben wir dann überlegt, was wir aus unserem Portfolio heraus bzw. mit unserem Netzwerk bereits jetzt für Lösungen anbieten können. Zusätzlich haben wir auch eine Challenge auf einer online Plattform initiiert, um die angesprochenen Themengebiete zu vertiefen und zu ergänzen. Themen wie Frostwarnungen oder wie der Wasserhaushalt im Weinbau gemessen werden kann, das sind Punkte, die wir direkt aus Gesprächen mit Obstbäuer*innen und Winzer*innen mitgenommen haben. Wir überlegen dann, wie wir diese Themen aufgreifen können: Wie gestalten wir die Sensorstationen am Hang und wo genau messen wir? Und ganz wichtig: Wie präsentieren wir die Daten, so dass die Obstbäuer*innen und Winzer*innen sie auf einen Blick verstehen?

Unsere Themen direkt an die Fragestellungen der Landwirte anzupassen und auch neue Fragestellungen aufzunehmen, das ist etwas, was wir in den kommenden zwei Projektjahren noch zentraler in den Mittelpunkt rücken wollen.

Damit hast du eine wunderbare Überleitung gefunden, um abschließend noch einen kurzen Blick in die Zukunft zu werfen. Welche Wünsche hast du für das EXPRESS-Projekt für die kommenden zwei Jahre?

Wir haben im Experimentierfeld EXPRESS viel mit der virtuellen Realität experimentiert.
Wie kann ich Daten auf Brillen transportieren? Welche Zeit- und Kostenersparnis bringt die Technik dem landwirtschaftlichen Betrieb? Wir haben schnell gemerkt, dass man, um die Brille zu steuern, doch ein Handy in der Hand halten muss. Also das eine geht mit dem anderen noch nicht auf. Das ist unheimlich spannend auch mit Blick auf die Landwirtschaft.

Das ist mit Blick auf die Industrie sehr spannend. Heutzutage wird virtuelle Realität oder auch Augmented Reality schon ganz selbstverständlich in Industrieumgebung eingesetzt,
so zum Beispiel bei Bosch in der Ausgestaltung neuer Betriebe oder Industriehallen.
Oder nehmen wir das Thema Energiemanagement: Noch vor 3 Jahren hat es eine*n Landwirt*in kaum interessiert, wieviel Strom im Kuhstall verbraucht wird oder was passiert, wenn Stromausfall ist. Welche Leistung brauche ich im Stall, um den Betrieb zu halten?
Von jetzt auf gleich sind diese Ergebnisse jedoch gefragt, und selbst die Haltung der Landwirt*innen verändert sich in diese Richtung.

Es wäre ein Riesenerfolg, wenn wir in dieser Richtung noch weiterkommen und unsere bisherigen Demonstratoren weiterentwickeln können. Und dazu gehört auch, dass wir die Regularien rund um unsere Sprühdrohnen, die wir unbedingt im Weinbau in Sachsen einsetzen wollen, auflösen und zusammen mit dem Luftfahrt Bundeszentrum die Zulassung für Sachsen erreichen.

Den Klimawandel kann man kaum beeinflussen. Aber wenn wir die Maßnahmen besser steuerbar machen können, dann haben wir mit dem Experimentierfeld schon sehr viel gewonnen. Es ist immer das Bündel der Maßnahmen, der Technologien und der Fragestellungen, die in großen Teilen mit den wandelnden Umweltbedingungen zu tun haben. Es wäre ein großer Erfolg, wenn wir spezielle und bessere Maßnahmen ableiten und den Landwirt*innen in die Hand geben können.

Noch eine letzte Frage: Du hast immer wieder das Thema der stärkeren Vernetzung unter den Landwirt*innen angesprochen. Wie wollt ihr dies umsetzen?

Der Wunsch nach einer stärkeren Vernetzung und gemeinsamen Handeln mit den Obstbäuer*innen und Winzer*innen wird uns tatsächlich immer wieder auf verschiedenen Kanälen widergespiegelt. Wir wollen diesen Gedanken in den nächsten zwei Projektjahren aufgreifen und gemeinsam Forderungen an die Politik stellen. Wir wollen uns verstärkt in Positionspapieren und entsprechenden Arbeitsgruppen einbringen.

Es wird im Forschungsprojekt Experimentierfeld EXPRESS immer den nötigen Freiraum geben, um auf aktuelle Themen reagieren zu können. Neue Experimentierflächen werden hinzukommen, auch neue Betriebe, um noch stärker Mitteldeutschland im Bereich der digitalen Landwirtschaft zu erschließen. Ich bin sehr gespannt, wie sich unsere Themen in der Zukunft entwickeln werden.

Vielen Dank für das Interview.

Das Interview führte Jördis Arnecke, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Fraunhofer IMW, Gruppe Professionalisierung von Wissenstransferprozessen, Projekt Experimentierfeld EXPRESS.

Hintergrund

EXPRESS wird von einem Forschungsverbund durchgeführt, der durch das Institut für Wirtschaft sinformatikan der Universität Leipzig koordiniert wird und an dem das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ,das Fraunhofer-Zentrum für Internationales Management und Wissensökonomie IMW sowie das IMMS Institut für Mikroelektronik- und Mechatronik-Systeme gemeinnützige GmbH beteiligt sind. Als landwirtschaftliche Akteure nehmen an EXPRESS neben anderen die Obstland Dürrweitzschen AG sowie das Weingut Schloss Proschwitz Prinz zur Lippe GmbH und Co. KG teil. Im Verlauf des Projekts können sich weitere landwirtschaftliche Akteure EXPRESS anschließen.

 

Die Förderung des Vorhabens EXPRESS erfolgt aus Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) aufgrund eines Beschlusses des deutschen Bundestages. Die Projektträgerschaft erfolgt über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) im Rahmen der Förderung der Digitalisierung in der Landwirtschaft mit dem Förderkennzeichen FKZ 28DE102A-D18.

Ihre Ansprechpartner:
Fraunhofer IMW
Neumarkt 9-19, 04109 Leipzig

Kommunikation                        
Dirk Böttner-Langolf              
Telefon +49 341 231039-250                
dirk.boettner-langolf@imw.fraunhofer.de

Professionalisierung von Wissenstransferprozessen
Dr. Juliane Welz
+49 341 231039-162
juliane.welz@imw.fraunhofer.de

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