Interview mit Anzhela Preissler, Dr. Marija Radic und Dr. Sandra Dijk

Arbeiten Menschen und Roboter ohne räumliche Trennung oder Schutzzaun zusammen, spricht man von kollaborativen Arbeitsplätzen. Sie finden sich bislang vor allem in Großunternehmen – dabei können auch kleine und mittlere Unternehmen von Mensch-Roboter-Kollaborationen (kurz MRK) profitieren. Am Fraunhofer IMW arbeitet das Team um Anzhela Preissler, Leiterin der Gruppe Qualifizierungs- und Kompetenzmanagement, Dr. Marija Radić, Leiterin der Gruppe Preis- und Dienstleistungsmanagement, und Dr. Sandra Dijk, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Gruppe Preis- und Dienstleistungsmanagement, am Verbundprojekt KUKoMo, das produzierende Unternehmen des Mittelstands beim Einsatz von MRK-Arbeitsplätzen unterstützt. KUKoMo wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

Das Wissenschaftsjahr 2018 rückt die Zukunft der Arbeit in den Mittelpunkt. Liebe Frau Preissler, wie können wir uns die Arbeitsplätze der Zukunft im mittelständischen produzierenden Gewerbe vorstellen?

Anzhela Preissler: Mensch-Roboter-Kollaborationen sind in produzierenden Unternehmen immer weniger ferne Vision, sondern oft nahe Zukunft oder sogar schon Realität. Am Arbeitsplatz der Zukunft arbeiten Mensch und Roboter Hand in Hand – das ist eine tiefgreifende Veränderung im Arbeitsprozess, die der Annahmebereitschaft, der Akzeptanz und den entsprechenden Qualifikationen der Belegschaft bedarf.

Sie erarbeiten im Verbundprojekt KUKoMo ein Schulungskonzept, das in einem Schulungs- und Anwendungszentrum über kollaborative Arbeitssysteme informieren, Beispiellösungen testen und für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) Angebote zur Qualifikation bereithalten wird. Sie sprachen bereits über tiefgreifende Veränderungen im Arbeitsprozess: Welche Hürden muss denn ein mittelständisches Unternehmen überwinden, das kollaborative Arbeitssysteme einsetzen möchte?

Anzhela Preissler: Der Einsatz kollaborativer Systemlösungen erfordert unternehmerischen Mut. Bisher werden derartige Technologien vor allem in Großunternehmen eingesetzt, hauptsächlich aus wirtschaftlichen Aspekten wie hohen Losgrößen oder vereinheitlichten Arbeitssequenzen. MRK-Lösungen müssen in kleinen und mittelständischen Unternehmen besonders einfach und intuitiv umgesetzt werden können. Das nötige Vorwissen für den Umgang mit den Robotern muss ohne großen Aufwand vermittelbar sein. Für die Akzeptanz und erfolgreiche Arbeitsprozesse ist es entscheidend, nicht nur einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schulen, sondern die gesamte Belegschaft für die MRK-Lösung fit zu machen.

Welche Änderungen sind dadurch in der Personalentwicklung und -führung notwendig? Wie müssen bestehende wissenschaftliche Konzepte der Didaktik hierzu geändert oder ergänzt werden?

Anzhela Preissler: Mensch, Technik und Organisation müssen ganzheitlich betrachtet werden, um neue Arbeitsformen zu etablieren. Unser didaktischer Ansatz liegt deshalb vor allem darauf, die Arbeitsorganisation lernförderlich zu gestalten und die Handlungsstrukturen des Einzelnen in MRK-Arbeitsplätzen aufrecht zu erhalten. Die Didaktik und Qualifizierungsmaßnahmen müssen sich auf das gesamte soziotechnische System der Organisation beziehen.

Auf Seiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können Angst vor Arbeitsplatzverlust oder Unsicherheit in der korrekten Bedienung der Geräte die Freude über neue technische Möglichkeiten überwiegen. Wie helfen die von Ihnen entwickelten Maßnahmen, hier Hemmschwellen abzubauen?

Anzhela Preissler: Die Maßnahmen des Schulungs- und Anwendungszentrums werden nicht nur für Manager und Führungskräfte konzipiert, sondern insbesondere auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – Werker, Techniker, Planer und Programmierer. Unser Leitfaden für die jeweiligen Maßnahmen orientiert sich an aktuellen ISO-Normen zu Dienstleistungsanforderungen der nichtschulischen Aus- und Weiterbildung. Wichtig ist uns, Qualitätskriterien durch Standards herauszuarbeiten. Wir möchten alle Organisationsmitglieder sensibilisieren und informieren. In verschiedenen Lehr- und Lernformen können dadurch individuelle und unternehmensspezifische Hemmschwellen und Bedenken gezielt adressiert werden.

Frau Dr. Radić, Sie bestimmen im Verbundprojekt die Wirtschaftlichkeit kollaborierender Montagesysteme für KMU in Deutschland. Welchen Mehrwert können MRK-Arbeitsplätze kleinen und mittelständischen Unternehmen bieten, deren finanzielle Möglichkeiten begrenzt sind und die hohe Investitionskosten scheuen?

Dr. Marija Radić: Kleine und mittelständische Unternehmen können von kollaborativen Montagesystemen profitieren – investieren jedoch bisher kaum in dieses Potenzial. Die Wirtschaftlichkeit stellt oft ein Haupthemmnis dar. Zwei Hauptargumente für den Einsatz einer kollaborativen Systemlösung sind Zeitersparnis und Qualitätsverbesserung. Der Robotereinsatz ermöglicht beispielsweise höhere Geschwindigkeiten und eine gleichbleibende Produktqualität. Eine höhere Anlagenauslastung ist das Resultat und dies für eine wirtschaftliche Produktion entscheidend. Kostensenkungen können beispielsweise durch geminderten Ausschuss oder durch Betriebskostenreduzierung erzielt werden, da Stillstandzeiten minimiert und gleichzeitig die Leistung gesteigert werden. Nicht zuletzt reduzieren die ergonomisch verbesserten Arbeitsbedingungen Ausfälle durch Krankheit oder Unfälle – ein wichtiges Argument gerade vor dem Hintergrund des demografischen Wandels.

Welche wissenschaftlichen Methoden nutzen Sie, um die Wirtschaftlichkeit von MRK-Lösungen zu bestimmen?

Dr. Marija Radić: Dr. Sandra Dijk und ich haben ein methodisches Vorgehen zur Wirtschaftlichkeitsermittlung von MRK-Lösungen entwickelt. Die Entscheidung, ob der Einsatz einer solchen Lösung wirtschaftlich sinnvoll ist, muss immer im Vergleich zu den beiden Alternativen – der manuellen und der vollautomatisierten Fertigung – erfolgen. Da es sich bei MRK-Lösungen um langlebige Investitionen handelt, wenden wir die Methode der Lebenszykluskostenrechnung an. Um auch qualitative Faktoren wie zum Beispiel die Ergonomie berücksichtigen zu können, haben wir unseren Lebenszykluskostenansatz um eine Nutzwertanalyse erweitert.

Das Verbundprojekt KUKoMo läuft noch bis Juli 2018 – haben Sie während des Projekts bereits Veränderungen in den beteiligten KMU feststellen können? Steigt zum Beispiel die Akzeptanz der Robotertechnologien, wenn die Wirtschaftlichkeit demonstriert wird?

Dr. Marija Radić: Interessanterweise war die Akzeptanz bei den beteiligten KMUs von Anfang an sehr hoch. Wir haben festgestellt, dass unsere Methode zur Wirtschaftlichkeitsanalyse eine unerlässliche Entscheidungshilfe aus Unternehmenssicht darstellt. Immerhin gehen mit der Anschaffung zunächst erhebliche Kosten einher und da müssen natürlich insbesondere KMUs genau prüfen, ob eine Investition wirtschaftlich tragfähig ist.

Dr. Sandra Dijk: Wir befinden uns gerade in einer sehr spannenden Projektphase, in der wir unsere Methode der Wirtschaftlichkeitsanalyse bei den beteiligten KMUs anwenden und erproben dürfen. Konkret erheben wir Daten, die die Grundlage unserer Berechnungen, beispielsweise der Lebenszykluskosten, ermöglichen, und werten diese aus.

Die Zeit für kollaborative Arbeitssysteme hat gerade erst begonnen. Denken Sie an künstliche Intelligenz oder Bionik. Welche Trends und welchen sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsbedarf sehen Sie zukünftig für Mensch-Roboter-Kollaborationen im Mittelstand?

Anzhela Preissler: Die Technik setzt die Rahmenbedingungen für Organisationen. Für kleine und mittelständische Unternehmen ist Agilität hier ein wichtiges Stichwort. Die Flexibilität einer Organisation hängt von ihren Organisationsmitgliedern und deren Kompetenzen ab. Um die wettbewerbsrelevante Innovationsfähigkeit von KMU zu gewährleisten, ist deshalb die Forschung zum agilen Kompetenzmanagement interessant. Vor allem informelle Lernprozesse, bei denen Lern- und Anwendungskontext identisch sind, werden in Zukunft immer relevanter.

Dr. Sandra Dijk: Wenn wir von Trends sprechen, dann ist sicherlich die nächste Robotergeneration in Verbindung mit Aspekten der Künstlichen Intelligenz ein äußerst spannendes Forschungsfeld. Beispielsweise stellt sich die Frage, wie ein Roboter eingesetzt werden kann, der selbstständig lernt und eigene Vorschläge zur Ausführung einer Tätigkeit unterbreitet. Ein weiteres Schlagwort ist Deep Learning. Mit dieser Zukunftsvision gehen natürlich eine Menge interessante Fragestellungen einher – zum Beispiel wie sich ein solches System auf die Arbeitsproduktivität auswirkt.