Gruppe Professionalisierung von Wissenstransferprozessen
Interview mit Valentin Knitsch
Der Blick aus einer erfolgreichen Zukunft zurück: Die Backcasting-Methode bietet ein Instrument zur strategischen Planung in Projekten. Ausgehend von der Beschreibung einer erwünschten Zukunft analysiert das Team, durch welche Schritte diese bestmöglich erreicht werden kann. So entstehen Roadmaps – konkrete Handlungspläne im Rahmen einer umfassenden Strategie. Für einen Backcasting-Workshop in EXPRESS haben Mitglieder der Gruppe Professionalisierung von Wissenstransferprozessen am Fraunhofer IMW nun einen neuen Ansatz entwickelt: Backcasting als digitales Brettspiel. Über kreative Workshop-Formate, pandemiebedingte Digitalisierung und Gamification haben wir mit Valentin Knitsch geredet, der das Format mitentwickelt hat.
Lieber Herr Knitsch, »EXPRESSion«: Das ist der Titel eines digitalen Brettspiels, das Sie für einen Backcasting-Workshop in EXPRESS, einem Projekt zur Digitalisierung in der Landwirtschaft, entwickelt haben. Wie kam Ihnen die Idee?
Im Rahmen des internen Wissenstransfers im Projekt EXPRESS führen wir derzeit einen Roadmapping-Prozess durch. Das erachten wir prinzipiell auch als eine sehr wertvolle Chance. Doch dann kam die Pandemie-Situation im Frühjahr 2020. Wir hatten bereits eine Vision gebildet; jetzt ging es darum, daraus konkrete Arbeitsaufgaben und Ziele abzuleiten. Solche Ziele gemeinsam zu bestimmen ist eine Aufgabe, die von allen im Team sehr viel Konzentration erfordert. Das ist in einem Präsenzworkshop schon fordernd. Noch schwieriger wird es in einem digitalen Format, in dem ein ganz anderer Arbeitsmodus besteht.
Deshalb kam uns der Gedanke, es mit einem spielerischen Ansatz zu versuchen. Das hat zwei Vorteile: Erstens kann man das Teamgefühl stärken, was sehr wichtig bei Workshops ist – sie sind immer nur dann gut, wenn es allen auch ein bisschen Spaß macht. Zweitens hatten wir eine Vision mit vielen abstrakten Zielen und mussten in einen kreativen Prozess hineingehen, um diese zu konkretisieren. Uns erschien es fast unmöglich, wie bei einem klassischen Brainstorming in die Runde zu fragen: Hat jemand Ideen? Deswegen haben wir uns dazu entschieden, den Workshop so zu gestalten, dass man angeregt wird herumzuspielen, Ideen zu generieren und so eine Grundlage dafür schafft, eine abstrakte Vision mit konkreten Zielen zu versehen.
Was hat Sie daran gereizt, sich für eine Umsetzung als Brettspiel zu entscheiden?
Brettspiele werden in ihrer Grunddynamik schnell verstanden und man weiß meistens schon grob, wie sie funktionieren. Auch wenn der digitale Raum einiges verändert, sind der grundlegende Ablauf und die Regeln eigentlich klar. So kam die Idee auf, das Backcasting als Brettspiel zu konzipieren und an bereits bestehende Brettspiele anzulehnen – sodass die Spielmechaniken schon bekannt sind und das Prinzip weitgehend selbsterklärend ist.
Gamification: Mit diesem Schlagwort bezeichnet man die Anwendung von Spielelementen auf eigentlich spielfremde Zusammenhänge. Welche spielerischen Elemente haben Sie genutzt?
Wir haben die Oberfläche so aufgebaut wie ein klassisches Brettspiel: Es gab ein digitales Spielfeld mit Feldern zum Ziehen und ein Set von Figuren, aus dem man sich eine aussuchen konnte. Dann wurde gewürfelt. Auf jedem Feld, auf dem man gelandet ist, gab es ein Ereignis. Zum Beispiel eine Aufgabe, wie etwa: Nenne einen Anwendungsfall für eine bestimmte Lösung im Obstbau. Dann wurde die Zeit gestoppt und das Team hatte einen bestimmten Zeitraum zur Diskussion. Anschließend hat die Gruppe gemeinsam entschieden, ob eine gute Idee herausgekommen ist. Je nachdem, wie die Gruppe entschieden hat, wurden Punkte verteilt oder nicht. Wer am Ende die meisten Punkte hatte, hat dann das Spiel gewonnen.
Da stecken gleich mehrere Spielmechaniken drin. Die erste ist die, dass es vom Würfelglück abhängig ist, auf welches Feld man kommt. Es gibt zum Beispiel Felder, bei denen einfach Ereignisse eintreten, die Punkte bringen oder kosten. Das ist ja das Schöne am Spielen: Es macht erst dann wirklich Spaß, wenn auch genug Zufall enthalten ist. Zweitens ist man auch abhängig von der Bewertung der anderen Spieler. Das ist natürlich eine gemeine Sache, denn auch wenn man sich ins Zeug legt, kann man immer vom Gegenüber eine negative Bewertung erhalten. Aber alle haben die Aufgaben ernst genommen und es gab zwar auch kritische, aber immer faire Bewertungen. So entstand eine Dynamik, und das ist das dritte Element, bei der es darum ging, schnell und kreativ gemeinsam etwas zustande zu bringen.
Normalerweise gilt für Brettspiele, was auch für Workshops gilt: Die Teilnehmenden begegnen sich und interagieren miteinander – ganz analog. Wie konnten Sie das Spiel digital umsetzen?
Wir haben die Spieloberfläche auf einem digitalen Whiteboard umgesetzt – das ist ein Kollaborationstool, zu dem alle einen Zugang haben und wo jeder am eigenen Rechner sitzt und man wie auf einer weißen Tafel arbeitet. Das Spielfeld wurde vorher natürlich konzipiert und testgespielt. Dabei mussten wir auch ein paar Rätsel lösen: Wie stellen wir zum Beispiel das Würfeln so dar, dass es glaubwürdig ist? Wie machen wir die Punkteverteilung? Hier haben wir verschiedene visuelle Formen gefunden, die wir auf dem Whiteboard gesammelt haben. So konnten wir viele klassische Spielprinzipien sehr naturgetreu umsetzen.
Gesellschaftsspiele machen nicht immer nur Freude; manche haben wohl schon ausgewachsene Familienfehden und zerbrochene Freundschaften auf dem Gewissen. Waren sich die Teilnehmenden am Ende trotzdem noch gewogen?
Ja, auf jeden Fall. Ich denke, es hat allen Spaß gemacht und wir haben auch die Rückmeldung bekommen, dass es Freude gemacht hat. Ich glaube, es hätte aber nicht funktioniert, wenn wir nicht ein Tool entwickelt hätten, durch das tatsächlich Ideen für den eigentlichen Prozess generiert wurden. Denn was den Leuten Spaß gemacht hat, war, dass sie angeregt wurden, in die verschiedensten Ecken zu denken, verschiedene Ziele zu bedienen – wie etwa mit der Frage konfrontiert zu sein, wie wir die Öffentlichkeitsarbeit für unsere Lösungen auf einer Messe ausgestalten würden. Solche Fragen spielerisch zu beantworten und dafür erste Ideen zu sammeln; ich glaube, das hat bei vielen den Eindruck geweckt: Wow, jetzt haben wir echt viel Material und können darauf aufbauen. So stellt sich im Team dann eine Zufriedenheit ein nach dem Spiel. Und es gab auch ein Team, das sehr viel Pech beim Würfeln hatte, was für Erheiterung gesorgt hat – auch, wenn es für das Team natürlich schade war.
Bislang wurde das Konzept nur für EXPRESS verwendet. Wollen Sie das Spiel auch in anderen Kontexten nutzen?
Ja. Wir haben festgestellt, dass es eine sehr interessante Methode ist, die wir weiter nutzen wollen. Wenn man solche Methoden neu konzipiert, besteht immer auch die Möglichkeit, Details zu verbessen. Und das ist unser Plan. Wir werden mit etwas Abstand auf dieses Tool schauen und es dann so aufbereiten, dass es in anderen Kontexten einsetzbar ist. Zusätzlich planen wir, mehr über die Methode zu berichten, die Spielmechaniken und Anwendungsbereiche näher darzustellen. Wir wollen das Wissen, die Erfahrungen, die wir generiert haben, mit anderen teilen. In Gesprächen haben wir festgestellt, dass das Konzept auf große Resonanz stößt. Verschiedene Akteure suchen nach Möglichkeiten, digitale Arbeit aufzuwerten und komplizierte Prozesse handhabbarer zu machen. Da gibt es einen unglaublichen Bedarf. Wir haben bereits Anfragen bekommen, dass wir doch mehr über unseren Ansatz berichten sollten. Deswegen treiben wir jetzt den Prozess voran, diese Spielerfahrung, die Idee und das Konzept näher vorzustellen.
Die Fragen stellte Jakob Milzner.